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Alles Perfekt?

Alles Perfekt?

Perfektion auf allen Ebenen. Erstrebenswert? Umsetzbar? Na, ich weiß nicht.

Eine gute Freundin von mir ist kürzlich Mutter geworden und hadert etwas mit ihrer neuen Rolle und deren Umsetzung. Als Selbständige möchte sie am Liebsten schon wieder ihrer Geschäftpartnerin zur Seite stehen. Die Figur muss doch auch bitteschön schon wieder nach einem halben Jahr stimmen und auch sonst strebt sie dem Bild der perfekten, modernen berufstätigen, immer gut aussehenden und stets gutgelaunten Frau nach, die alles im Griff hat.

Das ist anstrengend. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Perfekt sein zu wollen auf allen Ebenen und dabei noch eine unendliche Leichtigkeit zu versprühen geht gehörig an die Substanz.

Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin diesem Bild jahrelang hinterhergehechelt. Ich war selbständig mit einer Modelagentur mit Make-up + Styling, hatte Mitarbeiterinnen und habe ganz nebenbei in weniger als zwei Jahren meine Kinder bekommen. Eine richtige Elternzeit hatte ich dabei nicht. Ich war ständig in Habachtstellung in allen Bereichen. Immer halb im Büro und halb zu Hause.

Mein Concealer und mein gesamtes Make-up-Arsenal waren meine besten Freunde, denn gut aussehen musste ich ja auch noch. Logisch.

Schlafe, wenn dein Kind schläft“, haben mir erfahrene Mütter gepredigt. „Ja, ja“, habe ich gedacht. Mein Sohn hat leider nur halbstunden Powernaps gemacht und auch sonst recht viel geweint und wenig geschlafen. Und wenn er dann mal schlief, habe ich mich ins Büro gesetzt und versucht dort alles zu regeln. Die Buchhaltung und Angebote habe ich abends auf dem Sofa erledigt. Kurzum: Ich war platt und heruntergerockt. Nicht nur körperlich sondern vor allem mit den Nerven. Und als Mutter war ich bei der ersten Geburt mit 36 Jahren auch nicht mehr die Jüngste.

Beide Schwangerschaften habe ich durchgearbeitet, habe Make-up-Jobs bis kurz vor der Geburt gemacht – klar, das gehört sich so als Powerfrau. Dann kam mir noch die Schnapsidee, ich müsste noch mal nebenbei eine Ausbildung zur Heilpraktikerin machen. Ich hatte ja weiß Gott noch nicht genug auf dem Teller.

Bewundert habe ich immer alle Mütter, bei denen alles so leicht aussah. Alle anderen waren entspannt, ausgeschlafen und überhaupt war alles tutti. Das wollte ich auch. Und je mehr ich da hin wollte, desto mehr habe ich mich gestresst und kaputt gemacht. Das ständig schlechte Gewissen nicht genug Zeit mit den Kindern zu verbringen, wenn ich arbeitete und, wenn ich bei den Kindern war, das schlechte Gewissen zu haben, nicht zu Arbeiten und für die Agentur, Kunden und Mitarbeiterinnen da zu sein, hat das Sahnehäubchen on top gesetzt.

Den Wendepunkt brachte eine Auszeit, die wir vor der Einschulung unseres Großen eingeplant hatten. Wir wollten vier Monate auf Reisen gehen. Und weil ich in diesen vier Monaten nicht mit einem Fuß in der Agentur und ständig vorm Rechner hängen wollte kam mir die vage Idee die Agentur zu schließen.

Um es kurz zu machen: Ich entschloss mich, die Agentur zu verkaufen, die Heilpraktiker-Ausbildung abzubrechen und beruflich einen weiteren Neuanfang mit meinem Herzensprojekt zu starten – der Energiearbeit.

Die viermonatige Reise war wie ein Neustart  – beruflich und optisch. Meine stets blond gesträhnten Haare habe ich meiner Naturhaarfarbe zurückgeführt und bin seit sechs Jahren dunkelbraun mit mittlerweile vielen silbernen Haaren zwischendurch.

Manchmal kommt mir schon mal der Gedanke, meine grauen Freundinnen überzufärben. Aber nur kurz, denn so schlimm finde ich sie nicht. Sie gehören halt zu mir. Auch meine Figur hat sich verändert. So knackig wie früher ist sie nicht mehr. Wie denn auch. Geht ja auch nicht. Schon merkwürdig, wenn die Veränderungen dann doch recht schnell kommen. Ich bin gnädiger und toleranter mit mir geworden. Ich versuche regelmäßig Sport zu machen auf meine Ernährung zu achten, ohne mich zu kasteien. Ich esse gerne und ich esse gerne gut. Und wenn mich die böse Chipstüte aus der Schublade anlacht und mich lockt, dann gebe ich ihr auch gern mal nach. Auch die Schoki bettelt oft ums Vernaschen– ich bin dann so freundlich und erbarme mich ihrer.

Ich mag nach wie vor gerne schöne Klamotten und der Schminke habe ich auch nicht komplett abgeschworen. Allerdings trage ich kaum noch Make-up. Meistens gefällt mir mein Spiegelbild auch ohne Farbe. Ok, wenn meine Augenringe bis nach Meppen hängen und ich aussehe wie ein Panda, dann kommt mein Freund der Concealer auch mal wieder zum Einsatz. Auch Rouge zaubert wieder Leben ins Gesicht. Da kann ich einfach auch nicht anders. Ich stehe aber nicht extra früher auf, um mich für den Tag herzurichten. (Das heißt aber nicht, dass ich auf Köperhygiene und Deo verzichte….)

Vom Bild der perfekten Wohnung habe ich mich auch verabschiedet, da ich nicht mehr 40% meiner Zeit mit Aufräumen verbringen möchte, um hier alles tippitoppi aufgeräumt wie in „Schöner Wohnen“ zu haben. Ich bewundere es, dass andere das können, aber mich stresst das und bei uns ist es ein stetiger Kampf gegen Windmühlen den Aufgeräumtstatus länger als zwei Stunden aufrecht zu erhalten.

Außerdem spiegelt das latent herrschende Chaos unsere Familie bestens wieder: laut, bunt, wild und eben chaotisch.

Wenn mir nicht grade meine Hormone einen Strich durch die Rechnung machen, kann ich der allumfassenden Perfektion abschwören und einfach mal versuchen ich zu sein. Nicht immer einfach, aber je mehr ich das übe und auch mal alle fünfe grade sein lassen kann und bewusst darauf verzichte mich zu fragen, was die anderen wohl denken, desto leichter wird es.

Alles geht nicht, da in mir einfach noch zu viele alte Glaubenssätze, Programmierungen und Gelerntes aktiv sind. Aber ich arbeite daran, immer mehr zu mir zu kommen und mir mein eigenes Bild von meiner ganz persönlichen Perfektion zu kreieren.

2 Comments

  1. Kim

    Während ich deinen Blog lese und genüsslich meine Fairtrade zartbitter tigernuss Schokolade mampfe schmunzle ich und denke WOW- ohne Zucker …. und so schön geschrieben!
    Danke Dir!

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