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Stürmische See.

Stürmische See.

Bis vor einigen Jahren habe ich mich für einen zwar temperamentvollen aber recht ausgeglichenen Menschen gehalten. Pustekuchen. Bin ich gar nicht. Nicht so richtig jedenfalls. Wenn man Menschen außerhalb meiner Familie fragt, würden die wohl auch sagen, ich sei immer so ausgeglichen und entspannt. Wäre ich wirklich gerne wieder. Ehrlich.

Vielleicht sind es die Hormone der einsetzenden Spätpubertät die mich zum Wutmonster werden lassen. Mann, kann ich wütend werden. Wegen nichts. Die kleinste Nichtigkeit lässt mich aus der Haut fahren und ich schlage wie verrückt um mich – verbal versteht sich. Handgreiflich werde ich nicht. Trotzdem erschreckt sie mich – und bestimmt auch meine Familie – diese unkontrollierte und schäumende Wut, die da manchmal aus mir herausbrodelt. 

Vor allem, wenn sie mich eiskalt erwischt und ohne Vorwarnung gemein von hinten anspringt. Es ist, als wäre ich eine komplett andere Person. Jemanden, den ich so überhaupt gar nicht leiden kann. 

Und dann schäme ich mich ein bisschen für meine Ausbrüche und denke, mit fast 49 Jahren könnte ich mich doch besser unter Kontrolle haben. 

Es ist ja auch nicht so, dass ich nichts dagegen unternehme. Meditation, Spazierengehen bei Wind und Wetter, auch wenn es momentan fast täglich die gleiche Strecke ist, Musikhören, versuchen zu lesen und mit Freundinnen sprechen.Unterstützung habe ich mir auch in der Homöopathie, bei Bachblüten und ätherischen Ölen gesucht. Teilweise mit positivem Ergebnis, teilweise ohne nennenswerte Veränderung.

In Corona-Lockdown-Zeiten, in denen ich leider kaum arbeiten kann und Vollzeitmutti, Hausfrau, Kantinenchefin, Chefeinkäuferin, Hobbylehrerin, uvm bin und verschwindend wenig Zeit für mich übrig bleibt, wurde es auch nicht unbedingt besser.

Über Instagram bin ich zufällig auf eine Seite gestoßen die sich: „Der Kompass“ nennt. Dort habe ich Anregungen bekommen meine Wut mal von einer anderen Seite zu beleuchten.  

Ich habe gemerkt, dass ich wütend werde, wenn ich regelmäßig meine Grenzen überschreite und mehr gebe, als ich eigentlich bereit war zu geben. Ich verspüre Wut, wenn ich null Zeit für mich habe, weil ich allen anderen hinterherräume, alle organisiere und am Ende des Tages nichts für mich getan habe, was mir gut tut. Und ich verspüre Wut, wenn ich nicht ich sein kann. Wenn ich mich zerreiße zwischen meinen ganzen vielen Rollen, die ich natürlich perfekt ausfüllen möchte – aber das ist eine ganz andere Baustelle. Und natürlich, wenn ich in dem ganzen täglichen Wahnsinn nicht Herrin werden kann. Was einfach nicht funktionieren kann – jedenfalls nicht in unserem Wusel-Chaos-Haushalt. 

Dank einem „Wut-Beitrag“ vom Kompass dämmert es mir, dass Wut per se nichts Schlechtes ist – sie ist eine Emotion wie jede andere auch – nur eben kein gerngesehener Gast. Sie zeigt mir, dass da grade bei mir etwas so gar nicht im Gleichgewicht ist. Und, es ist ok wütend zu sein – es ist aber nicht ok damit zu verletzen.

So habe ich vor kurzem angefangen aufzuschreiben, was ich mir für mich wünsche und versuche mir dafür Zeit zu nehmen. Dann darf die Küche so bleiben wie sie ist, die Wäsche darf im Korb weiter vor sich hinmüffeln und ich reagiere nur jedes zweite oder dritte Mal wenn „Maaaamaaaa“ durch die Bude gebrüllt wird. 

Ich meine nicht, dass ich mir stundenweise eine Auszeit nehme, sondern vielmehr die Viertelstunden genieße, in denen ich einfach mal nur ich bin. Und das reicht manchmal schon. Jedenfalls für den Anfang. 

Aber nicht nur das Aufschreiben hilft. Es hilft vor allem, den Rest der Familie an meinen Wünschen teilhaben zu lassen – denn nur wenn ich meine Wünsche formuliere und sie laut ausspreche, können sie verstehen, was mich umtreibt und was ich mir wünsche. Das mit dem Gedankenlesen funktioniert noch nicht so richtig bei uns.

Schließlich ist es ja wie auch überall sonst auch: Wenn ich in mir nicht klar bin, dann bekomme ich das im Außen meist wunderbar gespiegelt. Und klar zu werden, heißt, mich ausgiebig mit mir und meinen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Und das ist anstrengend und oft unbequem. Lohnt sich aber, denn ich tue das ja für mich. 

Und wenn sie das nächste Mal kommt, meine Wut – entweder angeschlichen oder auch angesprungen, dann ändere ich einfach meine Strategie. Ich sage freundlich Hallo und begrüße sie wie eine alte Freundin. Denn im Endeffekt möchte sie mich ja auf ihre ganz eigene laute Art und Weise darauf aufmerksam machen, das ich nicht sorgsam mit mir umgegangen bin und meine Bedürfnisse nicht klar kommuniziert habe.

Vielleicht schaffe ich es ja auch Zukunft etwas mehr für mich zu sorgen, meine Grenzen nicht dauerhaft zu überschreiten und auf mich zu achten. 

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